Ein 66 Jahre alter Brief ...

In den ohnehin spannenden Unterlagen befand sich zudem ein 18-seitiger Brief: geschrieben in der Zeit vom 08. August 1946 bis 01. Mai 1947 von der dann schon verwitweten und nach dem Krieg auf der Roseburg weilenden Hildegard Sehring an den ehemaligen Diener.

Vorerst beweisen auch diese Zeilen die Verbundenheit über all die Jahre und die eigentliche Dienstzeit Schrecks hinaus. Liest man aber die eng beschriebenen Zeilen, Wort für Wort und Blatt für Blatt, dann erweisen sie sich als überaus persönlich. Frau Sehring, damals 85-jährig und geprägt von Krankheit, berichtet über den Werdegang gemeinsamer Bekannter, schreibt von Geldnöten und persönlichen Verlusten. Und schließlich detailliert über den 27. Dezember 1941 - dem Todestag ihres Gatten Bernhard Sehring.

All dies scheint auch nach über 60 Jahren sehr persönlich und man möge Verständnis haben, dass der Briefinhalt nur auszugsweise und mitunter nur erklärend wiedergegeben wird. Er verliert dadurch in keinster Weise seinen Sinn, nämlich einen wahrhaft seltenen Einblick zu erhalten und ein Stück Lebensgeschichte vor den Augen zu haben.

(Der ausdrückliche Dank gilt abermals der Schwiegertochter von Herrn Schreck; die so lieb angekündigte Überraschung, nämlich die „Übersetzung” aus dem Altdeutschen, ist ihr sehr gelungen).

Briefwechsel ...

Mein lieber, liebster Schreck! Roseburg, den 8.8.1946
 
Weil ich Ihnen einen recht lieben langen Brief schreiben wollte, dauert meine Antwort so lange, mit einem üblichen Brief wollte ich Ihre so reizenden herzlichen Briefe nicht beantworten, dazu habe ich mich viel zu sehr über ihren Brief gefreut, nach so langer Zeit ein so erfreulich schönes Lebenszeichen zu erhalten, widerfährt einem selten. Also zuerst mal allerherzlichsten Dank dafür. Zuerst sah ich mir die reizenden Bilder Ihres Hauses an, d.h. Garten an, mit ihrer Familie ...

Von Ihnen kann ich nur sagen, bis zu meines Mannes Ende hat er sie sehr geschätzt und lieb gehabt und dass Sie meine Liebe immer hatten, wissen Sie genau und können sich denken, wie ich mich freute nach so langer Zeit ein so schönes erfreuliches Lebenszeichen zu bekommen ...

Im Weiteren berichtet Hildegard Sehring von gemeinsamen Bekannten, die sie durch Krieg und Krankheit verloren hat. Insbesondere den Verlust der langjährigen Köchin Minna, die sie als „selten treuen lieben aufopfernden Menschen” beschreibt und sich dabei eigene Gedanken über das Alter macht:

Finden Sie, lieber Schreck, nicht auch, je älter man wird so mehr hängt man an Erinnerungen und Freunden. Es liegt wohl auch daran, dass man im Alter sich nicht mehr so rasch anschließt. Mein Mann starb am dritten Feiertag Weihnachten 1941 ...

Die dann enthaltenen Schilderungen über die letzten Stunden ihres Mannes zeigen auf, dass Bernhard Sehring in trauter Umgebung und kurz vorher lediglich über eine gewisse Müdigkeit klagend, gegen 5.30 Uhr am Nachmittag eingeschlafen ist ...

Näher einzugehen ist auf die Trauerfeier, denn diese erweist sich als sehr würdevoll und unter großer Anteilnahme in allen Kreisen, so beschreibt es nicht nur Hildegard Sehring selbst im Folgenden. Die Öffentlichkeit wurde über den Tod von Bernhard Sehring u.a. in verschiedenen Zeitungsartikeln informiert. Beispielhaft zum Nachlesen in einem Artikel vom 02. Januar 1942 aus dem in Dessau erschienenen Anhalter Anzeiger.

Zurückkommend auf Hildegard Sehrings Zeilen:

In den Tagen waren so unendlich viele Menschen durch Bombenangriffe gestorben, dass die Feier erst am 3.Januar 1942 im Krematorium stattfinden konnte. Sie war sehr stimmungsvoll u. ganz nach meines Mannes Herzen. Ich hatte erste Künstler gebeten. Ein Organist spielte Bratsche, Variationen über „Eine feste Burg ist unser Gott”, dann sprach der Hofprediger Döhring, den mein Mann gut kannte ... Dann sprach einer vom Künstlerverein und darum hatte ich eine sehr gute Sängerin Sopranistin, die mit einer weichen, süßen Stimme, das Abschiedslied aus der „Aida” sang mit Chorbegleitung, was sehr ergreifend war. Es war meines Mannes Lieblingslied ... Der Raum war mit sehr viel Blumen und Palmen geschmückt und sehr schöne Kränze da u.d. Halle musste geschlossen werden, weil keine Menschen mehr hinein gingen. Alle sagten mir, wie es wirklich ein Abschied von ihm war, wie er bei seinem bescheidenen, liebenswürdigen vornehmen u. herzensguten Wesen ihn verdanke ...

Es folgen die Bemühungen um den Erhalt der Grundstücke, was sich – nun schon im Jahr 1946 - als schwierig erweist:

Jetzt bemühe ich mich s. Grundstücke zu erhalten, was unter den jetzigen Verhältnissen mehr als schwierig ist ...

... Aber ich bin noch nicht soweit, sondern stecke noch mitten in allen Sorgen drin ...

Insbesondere das schwer beschädigte „Theater des Westens” beschäftigt sie:

Also beim Theater stehen die Mauern, aber Bühnenhaus mit allen den teuren Maschinerien: Kuppelhorizont, Regenvorrichtung ... Alarmvorrichtungen, elektrischen Aufzügen u. Versenkungen alles ist bis auf die nackten Mauern verbrannt ... Im Theater selbst ist Dach, Parkett u. der 2. Rang verbrannt. Nun ist über dem 2ten Rang ein interferistisches Dach gezogen und da es englische Zone ist, wird darin mit Parkett 1 und 2. Rang gespielt. Die Einnahmen des 3. Ranges fehlten, was ein sehr großer Ausfall bedeutet in den Einnahmen ... 2 Mal hatten wir schon das Theater wieder in Ordnung gebracht, (19)45 sah jeder in uns. Gegend, dass es zu Ende ging und da mein Mann schon über ein Jahr nicht mehr lebte, wollte ich lieber aufs Land ...

Konkret heißt das: Im Verlauf des Jahres 1943 zog sich Hildegard Sehring, mit Tochter Irene von Leuthold, aus Berlin zurück und verbrachte die letzten Lebensjahre auf der Roseburg, wo sie am 09.03.1950 im Alter von 89 Jahren verstarb. Zusammenfassend betrachtet aus mehreren Gründen wohl sieben schwere Jahre: Sie selbst war vom Alter und Krankheit geprägt und auf die Pflege durch eine Krankenschwester angewiesen.

Die Burg beherbergte in dieser Zeit mindestens 17 Flüchtlinge. Natürlich gaben sowohl die mit Kunstschätzen angereicherte Privatburg als auch die Tatsache, dass sie „Frau Baumeister Sehring”, d.h. die Gattin des bekannten und als vermögend geltenden Architekten etc. war, ausreichend Anlass und Ziel für Diebstahl, Plünderung und Bedrohung. Auch russische Soldaten verschafften sich mehrfach mit Gewalt Zutritt auf die Roseburg und nahmen Kunstgegenstände mit. Gleichzeitig kämpften sie und ihr Rechtsanwalt gegen die Enteignung an und lieferten sich einen zähen Streit mit der damaligen Gemeinde Rieder bezüglich der Rückgabe ihres Eigentums.

Ohne überhaupt eine Wertung vornehmen zu wollen und um abschließend auf die eigentlichen Zeilen von Frau Hildegard Sehring zurückzukommen:

Wenn mir gelingt, was ich mich bemühe mein Lebensschiff durch die heutigen Wellen von Schwierigkeiten zu steuern, so ist es nicht mein Verdienst, sondern ich muß Gott dafür danken, dass er mir die Gnade erweißt.

Weitere Schriftstücke sind unter „Zeitzeugnisse der Roseburg” veröffentlicht.

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