17.08.1936 - Ballenstedter Fremdenliste

Die Roseburg — eine Zauberburg

Lebendiges Mittelalter im Ostharz

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An der Kreisstraße Ballenstedt-Gernrode liegt - 20 Minuten von der Askanierstadt entfernt - eine Burg, nicht zu Unrecht von den vielen Fremden, die zu Fuß oder mit dem Auto oder mit der Bahn unsere schöne Harzlandschaft durchreißen, mit großer Bewunderung und starkem Interesse in Augenschein genommen wird. Malerisch und wie geschaffen für eine Burganlage ist das Gelände, aus der sich die Roseburg als markante Kuppel empor hebt und einfügt in die Hügelwelle des Vorharzes, die sich vom Bückeberg über den Kahlenberg, die Roseburg, den Steinberg bis zur Hohe hinzieht. Erweckt schon von der Straße aus diese mittelalterliche Burg das Erstaunen aller vorüber ziehenden Volksgenossen, so wird bei einem Besuch der Anlage das Auge von so mannigfaltigen malerischen Reizen erfreut, die man ungedingt gesehen haben muß und an die man sich später dann wieder erinnert.

Kennen Sie die Roseburg ? Ein Besuch lohnt sich. Und wenn hier in diesem Rahmen lange nicht alle Sehenswürdigkeiten dieser Burganlage behandelt werden können, so soll in großen Zügen das Rätsel über diese Burg-Romantik des 20. Jahrhunderts gelüftet werden.

Bis zum Anfang des Jahrhunderts stand hier oben auf diesem Berg noch kein Burgbau; erst der in ganz Deutschland bekannte Baukünstler Bernhard Sehring, Erbauer zahlreicher deutscher Theater (Theater des Westens in Berlin, Halberstadt, Cottbus usw.), ging im Jahre 1907 nach dem Erwerb von 52 Morgen Land an die Verwirklichung seines großartigen Planes, eine romanische Burganlage mit ihren all dazugehörigen Nebengebäuden entstehen zu lassen. So wuchsen dann rasch der Pallas der Burg, das Torhaus, mit dem zum Wachtturm angrenzenden Wachtgang in die Höhe, dann aber wurde zunächst der weitere Ausbau durch den Krieg unterbrochen. Immerhin hat sich noch so manche Neuschöpfung eingefügt - so u.a. die herrliche Wasserkunst in dem wunderschönen Park, das als Ruhestätte für den nunmehr 81jährigen Besitzer gedachte Mausoleum, der Putten-Gang, die Terrasse mit ihrem weitreichenden Rundblick nach den Bergen des Harzes und die gewaltige Steinmauer von 1600 Metern Länge.

Der Boden, auf dem sich die Roseburg erhebt, hat schon ein Jahrtausend deutscher Geschichte gesehen. Schon zu Zeiten des Markgrafen Geros, des mächtigen Slavenbezwingers, hat hier au dieser Höhe ein Wachtturm gestanden, dessen Grundmauern vor mehreren Jahren freigelegt worden sind. Das war im neunten Jahrhundert. Später berichtet dann die Chronik von der uralten Wüstung Rudolvesburg, Rudolfsburg, woraus dann endlich im Volksmunde, als das Kastell schon längst in Trümmer gesunken war, der Name Roseburg gebildet wurde.

1000 Jahre Burggeschichte liegen vor dieser Zeit, in der -wie bereits betont- die junge Burg des Baumeisters Sehring erbaut wurde. Gewaltig und fein gegliedert ist die Außenanlage: über die hochgestaffelte Vorburg erhebt sich, gewaltig ragend, der wehrhafte Bergfried, der bis zum Zinnenkranz empor bewohnbar gemacht ist und doch, dank dem Geschick des Meisters, fast fensterlos aussieht. An den Hauptturm lehnen sich Vor- und Anbauten, Zwinger, Arsenal, Offizin und Burghöfe, streng im Geiste der alten Zeit und doch alles von wohnlichem Behagen erfüllt.

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So schroff ablehnend und klar zum Gefecht nach außen, so voller Schönheit und Pracht ist das Innere der Roseburg, alles in allem ein Kunstwerk ohnegleichen. Der eigentliche Zauber dieser Burg lässt sich nicht in Worte fassen, ebenso wenig wie die Poesie oder sonst eines stimmungsreichen Kunstwerkes sich logisch verdeutlichen lässt. Den aus der engeren Heimat wie aus fernen Landen und Zeiten zusammengetragenen Kunstbesitz hat Baumeister Sehring auf sinnige Art in die zahlreichen Räume und Wände eingruppiert. Ein Museum der Seltsamkeiten ist hier entstanden, das anzuschauen, die Mühen reichlich lohnt.

In der großen Halle erwecken prächtige Mosaikfriese die Bewunderung aller Besucher, zu denen weiter noch wertvolle Plastiken aus der Riemenschneider-Schule zu Bamberg, Wahrzeichen aus italienischen Klöstern, Reststücke aus der römischen Zeit und viele andere Dinge hinzutreten. Die neue Zeit hat vor diesen Kostbarkeiten Halt gemacht. Eine längst verklungene Zeit wächst noch einmal herauf, wenn man seine Schritte weiter durch die Räumlichkeiten lenkt und das sogenannte Damenzimmer oder das holländische Speisezimmer einer Besichtigung unterzieht. Hier wurzeln Heimatgeschichte und Vätergeschichte, diese Quellen deutscher Volksverbundenheit.

Wie innen der Mosaikfries symbolhaft die Idee des Ganzen zeigt, so tun es außen die unzähligen Erinnerungsstücke aus aller Welt. Da sind als Turmknöpfe vier Kugeln, die Tilly nach Ballenstedt hineinschoß. Da weisen eiserne Fackelträger nach Florenz, da sind Plastiken aus dem Kloster Lucca. Ein Marmortisch stammt vom Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, drei riesige Wappen mit deutschem Mosaik gehörten zum Kaiserschloß in Possen und Dutzende von alten Mühlsteinen stammen aus alten Harzmühlen. Über allem weht der Zauber persönlicher Erinnerung.

Das ist jener Zauber der Roseburg, jenes merkwürdige Bauwerk, das mit Rosen eigentlich nichts zu tun hat. Wenn auch der Name nicht unbedingt stimmt (vielmehr, wie betont, auf Rudolfusburg zurückgeht), so bleibt dennoch die Roseburg für Harzbewohner und die vielen fremden Besucher ein märchenhaftes Bauwerk, das in der letzten Zeit immer mehr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Und diese Maßnahme ist für diejenigen, die hinter die Mauern dieser Burg sehen wollen, gut und erfreulich. Stark ist bisher der Zustrom gewesen und niemand, der in Ballenstedt, überhaupt im Ostharz weilt, wird sich einen Besuch der Roseburg entgehen lassen wollen. Er findet in einer kurzen Stunde ein lebendig gewordenes Stück alter Zeit, ein Erleben, das man nie vergißt.