Sein Leben - sein Lernen - seine Visionen - seine Bauwerke

Edderitz im Abendrot – anstelle des Sees befand sich einst das alte Dorf

Am 1. Juni 1855 wurde in Edderitz (bei Köthen) Bernhard Sehring als zweiter von vier Söhnen der Eheleute Amandus Sehring (1823 – 1900) und Emma von Gladebeck (? – 1902) geboren. Die Familie lebte im „alten Dorf”, welches aber in den 50er Jahren im Zusammenhang mit dem Braunkohleabbau geflutet wurde und es entstand an anderer Stelle das „neue Dorf” wie es heute noch existiert. Somit ist Geburts- und Elternhaus nicht mehr vorhanden, was höchst bedauerlich ist.

Die Informationstafel am Edderitzer See veranschaulicht sehr gut die Dorflage einst und heute

Der Vater Amandus Sehring (1823-1900) war selbst Herzoglich-Anhaltinischer Baumeister in Dessau gewesen und später auch Direktor der Edderitzer Zuckerrübenfabrik, welche im Jahr 1953 abgerissen wurde, um die Kohle weiter abzubauen. Reste des Eingangstores sind unmittelbar am See gegenüber dem Friedhof zu finden.

Noch war nicht daran zu denken, dass Bernhard Sehring einmal jener Privatarchitekt und Theaterbaumeister sein würde, dem solche genialen Bauten, wie das Theater des Westens in Berlin, dem Berliner Künstlerhaus Sankt Lukas, die Stadttheater in Halberstadt, Cottbus und Düsseldorf, aber auch die Doppelturmfassade der St. Jakob-Kirche im benachbarten Köthen (Cöthen), die Walpurgishalle in Thale, das Schloss Schermcke, die Stadthalle in Görlitz oder die Roseburg bei Ballenstedt zu verdanken sind. Viele der hier nur als markante Beispiele genannten Gebäude sind Opfer des 2. Weltkrieges geworden, verfallen oder vergessen. Viele aber existieren noch und haben etwas gemeinsam: sie wirken!

Stumme Steine in neuer Landschaft: einst der Eingang zur Zuckerfabrik

Doch zunächst führte ihn der Weg ab 1865 nach Dessau auf das Gymnasium und später auf die dortige Kunstschule. Die nächste Etappe führte ihn, bereits geprägt, zum Studium von 1873 bis 1875 am Polytechnikum in Braunschweig. Danach ging er von 1875 bis 1877 für weitere drei Semester zum Architekturstudium an die berühmte Königliche Bauakademie in Berlin, wo er besonders durch Prof. Johann Heinrich Strack (1805-1880), einen Schinkel-Schüler, künstlerische Förderung erfuhr.

Auf einer Karte von 1904 erkennt man links oben die alte Zuckerfabrik

In dieser Zeit schuf der 21-jährige Sehring ein Aquarell, welches den „Ahnensaal im Chateau zu Edderitz im Sommer 1876” darstellt und somit den Saal nebst Ausstattung im Schloss seines Geburtsortes. Das Bild was zum einem Sehrings malerisches Können und zum anderen seine Heimatverbundenheit beweist, ist erhalten geblieben und befindet sich in Privatbesitz.

Dieses Bild von Bernhard Sehring (Maße 24 x 33 cm, Goldrahmen) wurde 2004 in einem Thüringer Auktionshaus angeboten und ging, nachdem es kein Gebot erhielt, an den Besitzer zurück, soll aber zwischenzeitlich verkauft sein.

1877/78 arbeitete Sehring im Atelier des Architekten Karl Hoene in Halle an der Saale, absolvierte dann sein militärisches Dienstjahr und wurde als Hauptmann der Reserve entlassen. Nach einer größeren Studienreise ließ er sich 1880 endgültig in Berlin nieder, wurde Mitglied des Architektenvereins zu Berlin und unternahm im Herbst desselben Jahres seine erste Reise nach Rom. Im Jahre 1882 erhielt Sehring für seine Wettbewerbsentwürfe zur Berliner Museumsinsel den Schinkelpreis und schon ein Jahr später für seinen Ideenentwurf zu einem Kunstausstellungsgebäude den Großen Akademischen Staatspreis. Mit diesem Preis war ein Stipendium für einen zweijährigen Rom-Aufenthalt verbunden, wo sich Sehring zwischen 1883 und 1885 zu Studienzwecken aufhielt und von wo aus er Reisen innerhalb Italiens unternahm. Seine Studien in Rom gaben ihm auch Gelegenheit, Kontakte zu Künstlern und Persönlichkeiten aus der Politik zu knüpfen. Aus dieser Zeit, nämlich aus dem Jahr 1883, stammt ein persönlicher Lebenslauf Sehrings, der hier als Abschrift gern nachgelesen werden kann. Zwischenzeitlich, im Herbst 1884, nahm er erstmals an einem internationalen Theaterbau-Wettbewerb teil. Aber diesen Wettbewerb für ein Stadttheater in Halle/Saale gewann Heinrich Seeling, der später ein bedeutender Theaterbaumeister und Konkurrent Sehrings - neben Max Littmann, Martin Dülfer (1859-1942) und Carl Moritz - werden sollte.

Staatstheater in Cottbus

Erste Bekanntheit erlangte Sehring 1886 auf der Jubiläumsausstellung der Königlichen Akademie der Künste in Berlin, wo er seine im Frühjahr 1885 in Rom gefertigten Idealentwürfe für ein deutsches Künstlerheim in Rom vorstellte. 13 dieser Entwürfe wurden in einem kleinen Buch mit limitierter Auflage veröffentlicht und sind so der Nachwelt überliefert. Noch im selben Jahr gründete er gemeinsam mit dem Regierungsbaumeister Ernst Peters das Architektenbüro „Peters & Sehring” in Berlin-Kreuzberg. Bedeutende Arbeiten dieser Architektengemeinschaft waren 1887 die Fassadenentwürfe zum internationalen Wettbewerb für den Mailänder Dom und der Bau des Ateliers für den Bildhauer Max Unger in Berlin-Kreuzberg (1887; zerstört). 1889 gründete Sehring sein eigenes Büro, nahm am Wettbewerb für die Errichtung einer Berliner Synagoge sowie für ein Denkmal Kaiser Wilhelm I. in Berlin teil und begann mit dem Bau des berühmten Künstlerhauses St. Lucas in Charlottenburg, das im Frühjahr 1890 fertiggestellt und sein Eigentum wurde. Dieses Künstlerhaus mit zahlreichen Atelierwohnungen und einer Künstlerkneipe im Hofgarten ist als ein Schlüsselwerk Sehrings zu betrachten. Das gesamte Gebäude ist aus roten Rathenower Backstein errichtet und schließt sich an eine Berliner Bautradition der Zeit nach Schinkel an, jedoch in einer eigenwilligen Formensprache mit Gestaltungsmotiven aus der Zeit des Mittelalters und der deutschen Renaissance, was dem Ganzen im Dachbereich einen burgenartigen Charakter verleiht. Im Künstlerhaus veranstaltete der hochverschuldete Sehring Freitagabend-Empfänge, bei denen er Kontakte zur Berliner Kunstszene und zu wohlhabenden Kreisen knüpfen konnte, die sich positiv auf sein späteres Auftrags- und Tätigkeitsfeld auswirken sollten. Bei den gemütlichen Zusammenkünften mit Künstlerfreunden im Künstlerhaus paradierte der stadtbekannte Phantast Sehring. Auch später, im „Café Größenwahn” am Kurfürstendamm, produzierte er sich mit seinen Träumen.

Künstlerhaus St. Lukas Berlin, Fasanenstraße (1888/89)

In Anlehnung an den „Stil” des Künstlerhauses wurden nach seinen Plänen 1891/92 noch drei weitere Wohn- und Geschäftshäuser in Charlottenburg sowie die damals berühmte „Litzenburg” in Berlin-Wilmersdorf (1959; gesprengt) errichtet. Außerdem steuerte Sehring für Ausstellungen in Berlin Entwürfe bei und übernahm kleinere Aufträge, wie z.B. den Bau der Gedenkhalle (Tempel) für Königin Luise in Neustrelitz (1891). In seinem Architektenbüro entstanden auch die Pläne für das Theater auf der Gewerbeausstellung in Berlin-Treptow (1896; abgebrochen) sowie für den faszinierenden Bau des „Theater des Westens” (1895/96) in Berlin-Charlottenburg, an dessen Ausgestaltung Freunde aus dem Künstlerhaus beteiligt waren. Das „Theater des Westens” erregte damals viel Aufsehen und mußte als Sehrings Privattheater (welches er verpachtete) so manche finanzielle Krise überstehen. Es war seinerzeit das größte Theater Berlins, welches in Parkett und drei Rängen ca. 1.800 Zuschauern Platz bot. An seinem gigantomanen Äußeren wird der von Sehring provozierte Stilkontrast besonders deutlich. Das Zuschauerhaus ist wie ein palladianische Palastarchitektur mit Löwen, Obelisken und anderen plastischen Elemente, besonders im Dachbereich, gestaltet; das hohe Bühnenhaus vermittelt dagegen den Eindruck einer mittelalterlichen „Gralsburg”, die Sehring im Sinne Richard Wagners als einen phantastischen, dem Zuschauer entrückten, geheimnisvollen Bezirk der Kunst verstanden wissen wollte. Außer- und innerhalb des Theaters lassen sich als Gestaltungselemente desgleichen Schwäne beobachten, die als eine Anspielung auf Lohengrin, den Helden der Schwanenrittersage von Wolfram von Eschenbach, zu deuten sind.

Eines von vielen Beispielen Sehrings Baukunst: Die Walpurgishalle (erbaut 1901) in Thale

Dieses Prinzip des Stilkontrastes wandte Sehring auch bei seinen späteren Theaterbauten in Bielefeld (1902/04), Düsseldorf (1904/05; zerstört), Cottbusser Stadttheater (1905/07) und Halberstadt (1904/05; zerstört) an. Bei diesen Theaterbauten reduzierte er - wie auch andere zeitgenössische Theaterbaumeister - die Plätze des Auditoriums auf zwei Ränge, wobei das Parkett und die Ränge nach hinten stark amphitheatralisch ansteigen und die seitlichen Plätze der Ränge auf zwei Reihen beschränkt wurden, um eine möglichst optimale Sicht auf das Bühnengeschehen zu gewährleisten. Andere bedeutende Bauausführungen waren die Errichtung der Doppelturmfassade der Kirche St. Jakob in Köthen (1895/97), die spektakuläre Gestaltung der Glasfassaden des Warenhauses Tietz an der Leipziger Straße in Berlin (1899/1900; zerstört), der Ausbau des berühmten Varietés „Wintergarten” in Berlin (1900; zerstört) mit der Installation seines patentierten „Sternenhimmels”, der Tanzpalast „Delphi” (1927/28; jetzt Kino) in Charlottenburg und die Görlitzer Stadthalle (1906/10). Bei deren Bau ereignete sich am 9. Mai 1908 ein schweres Baustellenunglück, bei dem es fünf Tote zu beklagen gab. Dieses Ereignis hatte Sehrings Ansehen als Architekt für lange Zeit schwer geschädigt, obwohl er, wie sich bei der Gerichtsverhandlung herausstellte, selbst nicht schuldig gewesen war.

Die Rosburg bei Ballenstedt

Zurückgezogen hatte sich Sehring dann auf die nach seinen Plänen errichtete Roseburg (1905/25).

Bernhard Sehring verstarb am 27. Dezember 1941 in Berlin-Charlottenburg. Die Öffentlichkeit wurde über den Tod von Bernhard Sehring u.a. in verschiedenen Zeitungsartikeln informiert. Beispielhaft zum Nachlesen ein Artikel vom 02. Januar 1942 aus dem in Dessau erschienenen Anhalter Anzeiger. Seine Urne gilt als verschollen – die Erinnerung an ihn, sein Leben, sein Werk droht zu verblassen … deshalb gibt es diese Internetpräsenz.

Quelle (außer Thematik Geburtsort Edderitz und Bildmaterial): „Das Theater am Schillerplatz Cottbus”; Herausgeber: Staatstheater Cottbus (gegründet 1898); ISBN-3-00-003348-3