Zum 60. Geburtstag Bernhard Sehring's ...

... veröffentlichte Dr. Alfred Koeppen im Jahre 1916 in der Berliner Architekturwelt, Jahrgang 18, Heft 3, Seite 83 - 113 einen ehrenden Artikel und da der Inhalt sehr speziell und aussagekräftig ist, sei er an dieser Stelle nachzulesen:

Bernhard Sehring

EIN GEDENKBLATT ZU SEINEM 60. GEBURTSTAGE VON DR. ALFRED KOEPPEN

Wenn es den Aufgaben dieser Zeitschrift nicht zuwiderliefe, so könnte man über den als Malerarchitekten gefeierten Bernhard Sehring aus Anlaß seines am 1. Juni vollendeten 60. Jahres eine reizvolle Lebensgeschichte erzählen, die auf Grund einer alten Familienchronik in den Tagen des Prinzen Eugen anhebt. Hierbei würde man mit seltenem Behagen die Blutsverwandtschaft mit einer langen Ahnenreihe von ausübenden Künstlern auf dem Gebiete der Musik, des Theaters, der Malerei und Baukunst in so vielen Einzelzügen aufspüren, dass er als das folgerichtige Schlussglied ihrer Kette erscheint. Was dieses in ihrer Verjüngung Neues und Reizvolles bietet, bestimmte von Jugend auf Elternhaus und Heimat und später das rauschende Leben der Zeit im glücklichen Zusammenwirken.

Als Sohn des Herzoglich-Anhaltinischen Baurates verlebte der Werdende seine Jugend in Dessau. Die an seltenen Bauten aus dem XVI. und XVIII. Jahrhundert reiche Stadt mit ihren von Herzog Franz geschaffenen sehenswerten Kunstsammlungen, die umgebenden Parklandschaften mit en stillen Dörfern, insbesondere das von Goethe bewunderte Wörlitz mit seinen in alten Stilformen von der Gotik bis zum Louis Seize gehaltenen Bauten, Villen, Grotten, Teichen und endlich die von romantischen Sagen erfüllte Landschaft des Harzes haben seine Sinne früh für die Vergangenheit und das Still-Versonnen eingefangen.

War auf der Schulbank Ovids Vers: "medio tutissimus ibis" sein Wahlspruch, so galt später für ihn vorteilhaft Goethes Wort: "Ach, wie glücklich ist der, dem Mutter Natur die rechte Gestalt gab ...". Für sein glückliches Vorwärtskommen sorgte weiter eine gute Kinderstube und die frühe Gewöhnung an geselligen und gastlichen Verkehr im elterlichen Hause.

Ererbte Anlagen und Förderung durch den Vater bestimmten später den Studiengang als Architekt. Sehring arbeitete auf dem Karolinum zu Braunschweig, später auf der Bauakademie in Berlin unter Lucas und Strack, wobei er frühzeitig anfing, sich mit eigenen Entwürfen zu beschäftigen.

Als junger Architekt erwirbt er sodann 1881 den begehrten Schinkel- und 1882 den großen Staatspreis, machte hierauf Studienreisen nach Frankreich und Italien, wo er sich in Rom als Staatsstipendiat niederließ und hoch über der Porta del popolo und Via Flaminia in der Villa Strohlfern Werkstatt und Wohnung aufschlug.

Hier regten ihn die Glanzzeiten der Cäsaren zu einem großen und kühnen Entwurf an: "Das Deutsche Künstlerheim" an Stelle der Villa Strohlfern.

Auf der Berliner Ausstellung des Jahres 1886 drängte sich vor diesen Entwürfen, für deren Ausführung sich der damalige Botschafter Exzellenz v. Keudel erwärmte, nicht nur das Völkchen der Baukünstler, sondern das geistige Berlin. Man sah neben den Grundrissen und -schnitten Architekturaquarelle und bewunderte die Sicherheit im Erfassen des organischen Zusammenhanges der Bauwerke mit der umgebenden Natur im Geiste Schinkels, nur dass alles in glühender Farbenpracht erstrahlte. Dabei war die Gesamtanlage mit ihren Terrassen, Gängen, Hallen, Türmen doch nur das prächtige Kleid eines architektonischen Gerippes, in dem alles von den Arbeitsräumen bis zu den Luftschächten zweckdienlich durchdacht war. So waren z.B. die vor den Wohnräumen sich hinziehenden Säulenhallen so berechnet, dass sie das Sonnenlicht während der heißen Jahreszeit abblendeten, im Winter hingegen die Räume behaglich durchwärmen ließen.

Es war ein großer Plan, ein Wahrzeichen deutscher Größe nach dem blutigen Ringen von 1870/71, gewissermaßen ein "foro germanico" weithin sichtbar an den Toren der ewigen Stadt. Leider blieb er Bernhard Sehrings schönster Künstlertraum.

Mit diesem Werke stellte sich der junge Architekt als eine fertige, in sich gefestigte Persönlichkeit mit einer geschlossenen Anschauung vor, die das Bauwerk in ungebundener Freiheit wie ein Gemälde behandelte.

Nach seiner Rückkehr aus Rom hat Sehring bis heute in Berlin und während der letzten Jahre auf der "Roseburg" bei Ballenstedt gelebt. In der Reichshauptstadt nahm in das Großstadtleben der Gründerjahre mit ihrem Goldfieber in seine Arme, und es entstanden Arbeiten, wie sie der Tag verlangte. Nebenher und später seit 1890 war Sehring als selbständiger und freier Künstler tätig und hat Kirchen, Staatsbauten, Denkmäler, Geschäftshäuser, Villen und Wohnhäuser entworfen, die sich stets ehrenvoll behaupteten und in großer Zahl zur Ausführung kamen.

Alle Arbeiten zeigen eine eigene Architekturschrift, so dass man sie nicht wie die anderer gefeierter Tagesgrößen aus jenen Tagen mit anderen verwechseln kann, wobei es gleichgültig ist, ob es sich um eine Kirche, eine Künstlerwerkstätte, ein Geschäftshaus oder ein Theater handelt.

Gleiches Aufsehen wie die Aquarelle zum römischen Künstlerheim machten Entwürfe für die Schauseite des Mailänder Domes, der ausgebaut werden sollte. An ihm war seit den Tagen des Kardinals Carlo Borromeo bis auf Napoleon I. schwer gesündigt worden. Sehring erfasste kühn den Geist der alten Schöpfung und ging bei der Lösung von dem Dombilde als Ganzem aus und nicht, wie sonst wohl üblich, von theoretischen archäologischen Erwägungen. Der alten Schauseite, die unberührt blieb, wurden nämlich im Abstande eines Joches zwei neue Türme von reichstem Aufbau vorgelegt, welche in der Fluchtlinie durch ein phantastisches Barockgitter verbunden waren. Wie malerisch das wirkte, zeigten drei farbenprächtige Aquarelle, die auf der Ausstellung in Mailand nicht ihresgleichen hatten. Angesichts der später von Giuseppe Brentano ausgeführten breiten, in ihrem Schmuck nüchternen Schauseite, die die Höhengliederung in ihrer Wirkung unangenehm aufhebt, bedauert man den Sieg des nationalen Ehrgefühls über eine aus rein künstlerischen Geist geborene Schöpfung.

Als Kirchenbaumeister tat sich Sehring später, 1895-1903, durch eine ähnliche glückliche Lösung hervor, bei dem Ausbau der alten gotischen St. Jakobi-Kirche zu Köthen in Anhalt, wo er die Turmbauten aufführte, und dann im Jahre 1890 bei dem Wettbewerb für die Kaier-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Hier erschienen freilich seine Entwürfe den Zeitgenossen allzu malerisch. Um nämlich eine möglichst große Wirkung zu erzielen, war die Anlage trotz schlichten Gepräges auf Fernwirkung vornehmlich durch Turmbauten berechnet. Das Äußere stellte sich als Langhaus mit Chorkapellen am hinteren Giebel und vier Ecktürmen dar in den, ein wenig profan wirkenden spätgotischen Bildungen Nürnberger bzw. Heideloffscher Art. Dem entsprach auch das Innere, ein langgestrecktes 20 m breites Schiff mit schmalen Seitenschiffen, das mit einer durch spitzbogige, mit Zugstangen verankerte Binder getragenen Holzdecke geschlossen werden sollte. In einem etwas eingezogenen Zwischenbau führt eine stattliche Freitreppe zu den 15 m weiten durch mächtige Fenster von hellster Lichtfülle durchfluteten Chor hinauf, unter dem die beiden Konfirmandensäle Platz finden sollten. Als Baustoff war zur Hebung es malerischen Eindrucks vaterländischer Backstein gedacht.

Wie der Künstler als Kirchenbaumeister nicht immer das Glück hatte, seinen Träumen bleibende Gestalt zu geben, so erging es ihm mit architektonischen Denkmalsschöpfungen. Seine Entwürfe waren zwar nicht schlechter als viele der ausgeführten Paradestücke mit ihrer auf den Dutzendgeschmack berechneten zirzensischen Ausstattung, andererseits fehlte Sehring der Ausdruck für das Heldenhafte und Gigantische. Soweit er sich aber als Denkmalarchitekt bestätigt hat, blieb er sich getreu in der glücklichen Ausgestaltung des Denkmals zu seiner Umgebung.

Seine Veranlagung führte ihn geradezu zu Bauten, die dem Gesellschaftsleben dienten. Hier konnte er seine weltmännische Begabung aufs reichste entfalten.

Wie eine Wiederaufnahme früherer Gedanken mutet das Künstlerheim in der Fasanenstraße in Berlin-Charlottenburg an, das eine Sehenswürdigkeit und Sammelstätte von Malern, Bildhauern, Architekten und Sängern wurde. Ihnen sollte hier eine billige, den Bedürfnissen entsprechende Wohnungs-, Arbeits- und Erholungsstätte geschaffen werden - gleichsam ein neuzeitliches Kloster, weswegen das Haus auch dem St. Lucas geweiht war.

Aus dieser Bestimmung erklärt sich der eigenartige Grundriß.

Das nach der Straße zu gelegene Vorderhaus, zur größeren Hälfte gegen die Flucht zurückgesetzt, umschließt mit zwei langen Seitenflügeln, die sich nach benachbarten Gärten öffnen, einen 20-30 m breiten Hof, in den einzelnen Geschossen des Hauses liegt der Fußbogen nicht in einer Ebene, sondern dieses trennt sich in zwei selbständige Hälften, welche durch die an der Hinterseite des Vorderflügels angeordnete zweiläufige Haupttreppe derart miteinander verbunden sind, dass je ein Podest der letzteren dem beiderseitigen Fußboden entspricht. Hierdurch wurde im rechten Seitenflügel und dem dazu gehörigen Teile des Vorderhauses ein Sockelgeschoß gewonnen, in welchem eine den Mittelpunkt des geselligen Verkehrs bildende Kneipe sich befindet. Im Hause gab es Wohnungen bis zu vier und fünf Zimmern mit dazugehöriger Werkstatt. Diese ist mit einem kleineren, zur Gewinnung weiterer Standpunkte zu benutzenden Vor- und Empfangsraum verbunden. Alle Räume waren in selten gediegener Art ausgeführt, und an erzählendem Schmuck auf dem Hof, den Treppen, den Fenstern, Wänden, Decken ward nicht gespart. Ebenso malerisch bewegt waren die Hofseiten mit Erkern, Altanen, Treppenhäusern, so dass man sich ein Stück deutschen Mittelalters beim Betreten versetzt glaubt.

Im Geiste dieses Hauses hat Sehring später viele Wohnhäuser und Villen gebaut, so in der Kant-, Uhland- und Carmerstraße sowie im Grunewald.

Die neue Zeit gegen Ausgang des vorigen Jahrhunderts trat mit vielen Wünschen an den Baumeister heran. Paläste für die Industrie, Banken, Warenhäuser, Theater galt es zu bauen. Der Stein- und Holzbau machten dem Eisen und Beton Platz und verlangte neue künstlerische Lösungen. In die Architektur zog der an altorientalischer Vorbilder erinnernde schmuck- und phantasielose Baukastenstil ein, der allein durch klare Gliederung von Massen, durch Flächen und Linien wirken wollte. Sehring entzog sich den neuen Forderungen nicht, passte aber seine Eigenart den neuen Baustoffen an.

Für das Warenhaus war durch Messels Wertheimbau der konstruktive Gedanke, die Gruppierung um einen alles beherrschenden Lichthof, vorbildlich gelöst worden. Hieran hielten die Architekten Lachmann & Zauber fest, als sie das Warenhaus Tietz - Berlin erbauten. Sehring ging nun als Schöpfer der Schauseite in der Leipziger Straße von dem Gedanken aus, die Eisenkonstruktion nicht hinter Pfeilerwerk zu verbergen, und schuf ein geradezu durchsichtiges Haus, wodurch die Reklame eine außerordentliche Steigerung erfuhr, allerdings auf Kosten der künstlerischen Wirkung, die z.T. Wünsche des Bauherrn verschuldet haben. In der Schauseite der Krausenstraße, wo der Ausstellungsgedanke nicht so aufdringlich zur Geltung kommen musste, hat der Künstler schlechthin ein Meisterwerk geschaffen; der Glanz und Reichtum altehrwürdiger Zunfthäuser aus den Tagen der deutschen Hansa wird in der spätgotisierenden feierlichen Gliederung lebendig.

Wer heute von Sehring spricht, denkt hierbei freilich weniger an das Warenhaus, als an die Theaterbauten in Berlin, Halberstadt, Düsseldorf, Bielefeld, Kottbus und Görlitz mit ihren wertvollen Anregungen und neuen Lösungen.

Der Übelstand fast aller älteren Theater war die mangelnde Aussicht von den meistens, besonders aber den Seitenplätzen und Logen, ferner störende Pfeiler, schlechte Luftbewegung und Schallwirkung.

Im Theater des Westens, dem ersten Theaterbau (1896), waren diese Übelstände vorbildlich beseitigt. Das Neue des Grundrisses war, dass die Ränge seitlich nur 1-2 Sitzreihen erhielten, hingegen in der Mitte stark amphitheatralisch in 6-7 Reihen anstiegen, so dass man das Bühnenbild von jedem Platze aus vollständig übersehen konnte und der Innenraum eine außerordentliche Weite und Großzügigkeit erreichte. Weiter machte der bisher übliche Rundbau einem Rechteck Platz, dessen 4,20 m breite Umgänge im Parkett unmittelbar in die Empfangshalle und im ersten Rang in den weit sich öffnenden Festsaal (Foyer) führten. Hierdurch wurden beide nicht nur auf das glücklichste verbunden, sondern auch eine wertvolle Raumersparnis erzielt, da der Umgang zur Aufstellung der Anrichtetische und -schränke benutzt werden konnte. Vollendet war weiter die Durcharbeitung und Berechnung aller Einzelheiten, so der Treppenhäuser, die leicht ins Freie sich öffnen lassen, der Lüftungsanlagen, die imstande sind, in der Stunde etwa 50 000 cbm frische, im Winter vorgewärmte Luft durch das Haus zu leiten.

Daß sonst im Haus alles gediegen ausgeführt war, auch überall auf eine fröhliche, heiter-gesellige Stimmung durch künstlerischen Schmuck hingearbeitet worden ist, erscheint selbstverständlich.

Aus dem Grundriß wuchs stilgerecht das Äußere heraus: der Festsaalbau und die Eingangshalle mit den sechs Türen im Renaissancegeschmack und die malerisch bewegte perspektivische Ansicht.

Der Bühnenbau erhielt das Aussehen einer "Gralsburg" und verbarg seine zweckdienliche Bestimmung hinter hohen, feuersicheren Mauern mit Erkern und Türmen, als wollte er seine Wehrhaftigkeit gegen die feindlichen Elemente zum Ausdruck bringen. Durch einen ebenso bewegt gehaltenen Verbindungsbau, das Kulissenhaus, wurde das Ganze mit einem in der Fluchtlinie des Theaters gelegenen Wohnhause ähnlich wie im Künstlerhause in der Fasanenstraße in einheitliche Beziehung gesetzt.

In späteren Theaterbauten ist Sehring seinen Grundgedanken treu geblieben. Im Düsseldorfer Schauspielhaus (1904) hat er die seitlichen Umgänge sofort in einen kreisrunden kassettierten Kuppelsaal übergeführt, wodurch eine noch größere Raumersparnis in der Längsachse erzielt wurde.

Für die Physiognomie aller Theater Sehrings aber möchte einheitlich gelten: "Ernst ist das Leben, heiter die Kunst". Diesem Gedanken wusste er immer wieder ein reizvolles Gewand zu geben. Wie ist z.B. gerade das Düsseldorfer Schauspielhaus dafür kennzeichnend. Es war für neuzeitliche Schauspiele gedacht und bedingte mit Rücksicht auf das oft sich abwickelnde Zwiegespräch einen eingeschränkteren Zuschauerraum, der jeden störenden Nachhall vermied. Das Theater sollte nur 1000 Plätze fassen, die auf zwölf Sitzreihen zu 400 Plätzen, 136 Plätze des I. und 430 des II. Ranges verteilt wurden. Seitenplätze sind durch die weit von der Bühne zurücktretenden Logen vermieden, so dass man von jedem Platze die Bühne nahe vor sich hat und alles überblicken kann. Eine feine, stille Wirkung geht von diesem Raume mit seinen stark geschwungenen Brüstungen im Loui-Seizestil aus.

Von gerade märchenhafter Stimmung ist das Innere des Theaters in Bielefeld (1901). Hier hat eine Freilichtbühne unter dem Sternenhimmel Neapels die Anregung gegeben. Vor dem Zuschauerraum wächst die Bühne als Zelt auf. Ihr Vorhang fällt in schweren Falten unter einem weit vorspringenden Baldachin hernieder, hinter dem an der oberen Wand eine perspektivisch angetragene Säulenreihe sichtbar wird und weitere eine Spiegelwand den Sternenhimmel über dem Zuschauerraum zurückwirft, ein origineller Einfall, eine hübsche Täuschung voll feierlicher Stimmung. Der Gedanke kehrt übrigens auch in dem von Sehring umgebauten "Wintergarten" (Berlin) wieder. Die Außenarchitektur der zuletzt gebauten Theater in Bielefeld, Düsseldorf, Kottbus ist von strengerer Linienführung und vornehmer auf den Gesamteindruck berechneter Wirkung, die zweifellos unter dem Einfluß neuzeitlicher Anregungen steht.

Auf andere bekannte Arbeiten wie die "Walpurgishalle" im Harz, bestimmt für den Faustzyklus von Hermann Hendrich, "die Gedächtnishalle der Königin Luise" im Schlosspark Neustrelitz sei hier nur hingewiesen.

Während der letzten Jahre ist der Künstler seinen Lieblingsträumen nachgegangen. Fleiß und Können haben ihm die Mittel gegeben, in seiner Heimat, dank auch dem Entgegenkommen seiner Hoheit des regierenden Herzogs, auf einem gegen 50 Morgen großen Hügellande gegenüber dem Wildpark des Schlosses bei Ballenstedt die "Roseburg" zu erbauen. Von Jahr zu Jahr entsteht hier ein Teil nach dem anderen. Bis jetzt ist die Vorburg mit dem massigen Bergried als Wohnturm, den anstoßenden Wirtschaftsbauten, dem Burghof mit Altan und die Wehrmauer mit einigen Türmen fertig. Das Herrenhaus mit dem Pallas soll in den nächsten Jahren folgen und damit die eigenartige Schöpfung ihren Abschluß finden. In der Gesamtwirkung ist hier alles auf großzügige Linienführung, auf die Einordnung in die Hügellandschaft und den Umriß berechnet worden. Dabei fehlt es im Innern der Anlage nicht an stimmungsvollen Einzelbildern. Hier bietet sich ein weiterer Fernblick nach dem im Nebelkleide auftauchenden "Regenstein", dort drüben raunt es durch den Park und Wald. Hier lädt im Wartturm an der dicken Verteidigungsmauer mit dem Altan des Grabmales seines Freunde Georg Barlösius zum stillen Verweilen ein, und dahinter steigt das Städtchen mit Schloß und Türmen auf.

Im Innern des Wohnturmes erzählen Bilder und Hausrat von längst vergangenen Geschlechtern. Alles, was der Künstler auf weiten Reisen an seltsamen Antiquitäten erwarb, führt hier ein träumerisches Stillleben. -

Wünschen wir dem rastlos schaffenden Manne noch viele Jahre fleißiger Arbeit und ein glückliches buen retiro auf seiner Lieblingsschöpfung, die ihn uns wieder als einen allen fremdländischen Einflüssen abholden Künstler erkennen lässt, der als Malerarchitekt allzeit ein echt deutscher Mann gewesen ist.


Zum 150. Geburtstag Bernhard Sehring's ...

.... erschien 2005 in der „Bauwelt” Nr. 23 Jg. 9, Seite 4 ein Artikel von Adam Hubertus welcher hiermit ebenfalls nachzulesen ist:

Bernhard Sehring zum 150. Geburtstag

Hubertus Adam

1891 wurde in Berlin-Charlottenburg das Künstlerhaus St. Lucas gebaut. Bernhard Sehring (1855-1941), nicht nur der Architekt, sondern auch der Eigentümer desselben, bediente sich des seit Schinkels Zeiten gerne verwendeten Rathenower Backsteins und schuf mit Zinnen, Erkern, Türmchen und Baudekorationen aus Werkstein ein burgartiges Domizil mit diversen Atelierwohnungen und einer Künstlerkneipe im Hof. Das Künstlerhaus wurde stilbildend: Innerhalb der nächsten zwei Jahre entstanden in Charlottenburg und Wilmersdorf nach Plänen Sehrings vier ähnliche Wohnkomplexe.

Und 1895/96 folgte das wohl prominenteste Gebäude des Architekten: das Berliner Theater des Westens, ein strahlend weißer Bau und mit 1800 Plätzen das seinerzeit größte Theater der Stadt.

Auch hier trat der am 1. Juni 1855 in dem kleinen anhaltinischen Ort Edderitz geborene Sehring nicht nur als Architekt auf, sondern auch als Unternehmer. Das riesige Gebäude unweit vom Bahnhof Zoologischer Garten blieb als Privattheater bis 1960 in Familienbesitz. Als - wie man heute sagen würde - Entrepreneur des Fin de Siècle inszenierte Sehring seinen Bau zum Gefallen des Publikums; die mächtigen Kolossalsäulen übersetzen eine palladianische Fassadengliederung ins Wilhelminische, das Bühnenhaus wirkt mit seiner Mischung aus Rathenower Backstein und Fachwerk wie die Beschwörung des deutschen Mittelalters. Sehring baute in einer Zeit, da das romantische Aufleben der nationalen Vergangenheit Konjunktur hatte - man mag an Ludwig Hoffmanns historisierendes Konglomerat des Märkischen Museums ebenso denken wie an Franz Schwechtens Neoromanik der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

Dass Sehring indes keineswegs nur retrospektiven Idealen huldigte, bewies die 1900 erbaute Glasfassade für das Kaufhaus Tietz an der Leipziger Straße. Sie zeigt das Talent des Architekten, auf die Anforderungen seiner Bauherren zu reagieren und eine moderne Bauaufgabe mit modernen Mitteln zu meistern.

Auch das Theater in Cottbus (1905-07) wird gemeinhin mit dem Weg in die Moderne in Verbindung gebracht. Der plastisch durchgebildete Baukörper kommt ohne die sonst üblichen neoklassizistischen Pathosformeln aus, und im Foyer und Zuschauerraum arbeitet Sehring mit nackten Glühbirnen. Wahlweise dem Jugendstil oder dem Stil der Wiener Secession wurde das Gebäude zugerechnet. Es überstand den Zweiten Weltkrieg unzerstört und gilt heute als hervorragendes Beispiel für den vorwärts weisenden Theaterbau um 1900 - auch wenn Sehring nicht den Ideen der Theaterreformer folgte, die einen einheitlichen Zuschauerraum forderten, sondern am Modell des Rangtheaters festhielt.

Zu der heimatlichen Landschaft des Harzes scheint Sehring zeitlebens eine besondere Vorliebe gehabt zu haben. Eine seiner bizarrsten Schöpfungen ist die Walpurgishalle nahe dem mythenumwobenen Hexentanzplatz bei Thale, der unter der Ägide von Ernst Wachler mit dem Harzer Bergtheater zu einer neuheidnisch-völkischen Kultstätte ausgebaut wurde. Aus vorgeblich germanischem Geist entstand mit der Walpurgishalle ein nordischen Vorbildern entlehnter Holzbau, dekoriert mit Motiven der germanischen Sagenwelt.

Nach einem Unglück, das sich 1908 auf der Baustelle der Görlitzer Stadthalle ereignete, zog sich Sehring sukzessive aus der Berufstätigkeit zurück. Dass er mit dem Geist der Neuerung, der im Jahr zuvor zur Gründung des Deutschen Werkbunds geführt hatte, letztlich wenig anfangen konnte, beweist sein architektonisches Vermächtnis, die Roseburg bei Ballenstedt am nördlichen Harzrand. Zwischen 1905 und 1925 errichtete er ein von einer Wehrmauer umgebenes Park- und Bauensemble, das normannischer Donjon und deutsche Ritterburg, englischer Park und italienischer Renaissancegarten zugleich ist - ein Traumreich als Rückzugsort. Seit 1933 der Öffentlichkeit zugänglich, zeugt die ebenso idyllische wie kuriose Roseburg auch heute noch vom Leben und Werk eines Architekten, der um 1900 viel beschäftigt war, dessen Bewertung aber heute Schwierigkeiten bereitet.