St. Lukas - ergänzende Informationen

Auszug (in der seinerzeit üblichen Rechtschreibung) aus:
Moderne Kunst in Meisterholzschnitten, Band V, Verlag Richard Bong, Berlin, von ca. 1880-90
„Aus unserem Skizzenbuch” Das Sehring’sche Künstlerhaus in Charlottenburg, Seite 72 – 73:

... Eine der originellsten Schöpfungen auf dem Gebiete des Berliner Mietshausbaues ist das seit etwa Jahresfrist fertig gestellte Sehring’sche Künstlerhaus in der Fasanenstrasse zu Charlottenburg. Hier hat der Baumeister gezeigt, dass er ein Künstler und wohl im Stande ist, die Anforderungen der Billigkeit der Miethen und Einträglichkeit des Gebäudes mit dem freien Walten der Phantasie zu vereinen. Baumeister Sehring hat schon wiederholt die Originalität seiner Gedanken besthätigt; sein Projekt eines gothischen Domes und davor sich erhebenden Kaiser Wilhelm-Denkmals, welches die Ausstellung der Berliner Konkurrenzentwürfe enthielt, dürfte noch allgemein in Erinnerung sein. Dasselbe Streben nach malerischer Wirkung, welches diesem Kolossalprojekte eigen war, zeigte auch der Profanbau des „Künstlerhauses”.

Dasselbe ist auf jenem immer mehr begehrten Terrain gelegen, welches die Verbindung zwischen Berlin W. und dem alten Charlottenburg trägt, soweit es bebaut ist, ein hochelegantes Gepräge; die ihn umschliessenden und durchkreuzenden Straßen, wie der Kurfürstendamm, die Hardenberg- und Fasanenstrasse etc., sind dereinst berufen, den Westen der Stadt zu entasten, während sie zugleich Fühlung gewinnen mit der neuen Villenkolonie des Grunewaldes. Hart an der Stadtbahn erhebt sich in der Fasanenstrasse das Künstlerhaus, rechts von den Stadtbahnbogen, links von noch unfertigen Mietshäusern flaniert. Wer als Nicht-Berliner auf den Ferngeleisen der Stadtbahn an dieser Stelle vorbeipassiert, wird einen verwunderten Blick auf die „Burg” werfen, welche sich inmitten der modernen Architektur erhebt. Dieses pittoreske Burgaussehen erhält der Bau durch die reizvolle Bekrönung mit Lughaus und Thürmen; sobald man vor dem Hause steht, tritt dieser alterthümliche Charakter zurück und es erscheint als ein mächtiger vier Stock hoher Backsteinbau, der rechts und links einen Seitenflügel, sowie ein nicht ganz die Breite des Hofes einnehmendes Hintergebäude besitzt. Sind wir nun in den Hof eingetreten, dann erscheint von neuem der mittelalterliche Charakter. Wir glauben uns in das Innere eines alten Schlosses versetzt, dessen Galerieen und Balkone sich jeden Augenblick mit geputzen Frauen und Rittern füllen können. Die Ausschmückung dieses Hofes ist in der That eine architektonische Leistung ersten Ranges; jede Wiederholung ist vermieden, jede Symmetrie verbannt und dennoch ein harmonischer Eindruck erzielt. Künstlerauge und Künstlerhand konnten allein dieser Willkür eine solche Gesetzmässigkeit – fast scheint’s ein Widerspruch – geben. Einen eigenthümlichen, aber recht gut wirkenden Schmuck zeigt die Dachfirst; an ihr befinden sich Pferdeschädel, deren dreieckige Formen von welk gewordnen Kränzen umgeben sind. Der malerische Effekt, den die in verschiedenen Höhenlagen angebrachten Balkone, Gallerien und Fensterbrüstungen hervorrufen, wird noch gesteigert durch die Gegensätze der Farben; mit dem dominirenden Roth des Bachsteinbaues wechselt das Grau der Steinfassungen und in den oberen Regionen das Weiss der getünchten Flächen ab. Mit diesem warmen Kolerit aller Theile harmonirt auch der Brunnen im Hofe, dessen reizvolle Formgebung unser Bild deutlich erkennen lässt. Zur Sommerzeit im kühlen Hofe der Künstlerkneipe zu sitzen und dem Plätschern des Brunnens und dem vergnügten Leben in den Ateliers der Künstler zu lauschen, gewährt einen fröhlichen Genuss in den Stunden der Erholung.

Dass das „Künstlerhaus” für Künstler bestimmt ist, bedarf wohl keiner Erklärung mehr. Verheirathete und Unverheirathete, Maler und Bildhauer, Berühmte und Unberühmte, Solide und Unsolide – für so Manchen hat sich dort ein Plätzchen gefunden, und viele Andere, die anklopften, mussten abgewiesen werden. Denn das Künstlerhaus ist keine Herberge, sondern ein Wohnhaus. Und dass die Herren Künstler auch wacker arbeiten und nicht der Versuchung unterliegen, beim Glase Bier gemeinsam ein paar Vormittagsstunden und dann ein paar Nachmittagsstunden dem edlen Skat zu opfern, lehrt ein Blick in den Kunstausstellungskatalog, der so manches Werk verzeichnet, das seinen Ursprung in der Fasanenstrasse genommen hat. Zudem hindert der Umstand, dass nicht nur ledige Künstler, sondern auch solche, die an der Seite holder Gattinen und im Kreise lieber Kinder leben, dort Wohnung genommen haben, an allzu stürmischen Ausbrüchen des Künstlerübermuthes. Aber ein liebenswürdiger, freundlicher Verkehr besteht zwischen den Insassen und der Mittelpunkt dieses Künstlerlebens ist natürlich die schon erwähnte Kneipe im Hofe, in der ein Knappe mit Wadenstrümpfen, Flausrock und der Hahnenfeder im Barett aufwartet. Auch der Burgwart – anderswo Portier genannt – trägt ein mittelalterliches Kostüm und eine Hellebarde; im übrigen ist er ein gemüthlicher Sachse mit durchaus friedlichen Absichten. Das im Künstlerhause Sankt Lukas nicht fehlen darf, ist selbstverständlich; das farbige Bild des Evangelisten mit Pinsel und Palette in den Händen befindet sich am Eingange. Den Eingag des Portals bewachten zwei Sphinxe. Die Ausstattung der Innenräume ist eine sehr vornehme da künstlerische. Da ist nichts gespart, aber auch nirgends eine unschöne Verschwendung zu sehen; die ganze Schöpfung ist das Ergebnis eines originellen und einheitlich durchgeführten Planes. In einem solchen Hause fehlt es natürlich auch nicht an lauschigen Ecken, und diese Winkel voll Butzenscheibenpoesie muthen uns hier bei weitem nicht so sonderbar wie ihre Ableger in den sonsthigen modernen Miethkasernen an. Ein Besuch dieser interessanten Schöpfung eines modernen, genialen Baukünstlers ist für Jedermann lohnend und anregend.

Namentlich aber sollten die Männer, welche dem öffentlichen Bauwesen vorstehen und vor allem dazu beitragen können, der Architektur einer Stadt ein bestimmtes Gepräge zu geben, dem Künstlerhaus etwas Beachtung schenken und die Lehre daraus entnehmen, dass die Individualisierung doch der Urquell alles künstlerischen Schaffens sei. Mit vollem Recht konnte jüngst eine Fachschrift sich dahin äussern, dass der bedeutendste Fehler, der den städtischen Bauten anhaftet, in der gänzlichen Verleugnung des Individualismus liegt.

Von: Carl Vogel

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